Nachgefragt Swissbau 2024

«Die Digitalisierung bietet riesige Chancen für eine nachhaltigere Bau- und Immobilienwirtschaft.»

Wie gehe ich in meinem Unternehmen oder Projekt die digitale Transformation an? Und wo fange ich an? Dies sind zentrale Fragen, die jeden Akteur und jede Unternehmung der Bauwirtschaft interessieren müssen.

Im Gespräch thematisiert Markus Weber, Präsident von Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland, die Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation im Bauwesen und sagt, was es zur Etablierung von Branchenstandards braucht.

Markus Weber, seit vielen Jahren engagieren Sie sich für die Digitalisierung und BIM in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Wie ist es dazu gekommen?
Veränderungen und wie man etwas optimieren bzw. verbessern kann, haben mich schon immer interessiert und angetrieben. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich chronisch zu viele Aufgaben anziehe, weil es gerade in der Bau- und Immobilienwirtschaft riesige Potentiale für Verbesserungen gibt.


Als Mitinitiator und Präsident von «Bauen digital Schweiz» haben Sie die digitale Transformation geprägt. Was ist Ihre Mission?
Digitale Technologien begleiten unseren Alltag. Doch in der Bau- und Immobilienwirtschaft sind diese bisher erst zaghaft eingesetzt worden und noch lange nicht durchgängig vernetzt. Das Wissen und die digitalen Technologien sind verfügbar und wir müssen lernen, diese als unsere neuen Werkzeuge zu nutzen und die etablierten Prozesse sukzessive anzupassen. Das ist der Schlüssel für höhere Produktivität und Qualität und damit für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Bauwirtschaft. Aber auch für die dringend notwendige Verbesserung der Nachhaltigkeit wie zum Beispiel der Kreislauffähigkeit von Baumaterialien und Bauprodukten. Und nicht zuletzt sind sie auch Garant für attraktivere Arbeitsplätze und damit ein wirksames Mittel gegen den Fachkräftemangel. Die Potentiale sind also riesig!

 
Was sind derzeit die Trends in der Digitalisierung der Bauwirtschaft?
Es gibt viele Möglichkeiten und Potentiale und genau das ist die grosse Herausforderung: Wo fange ich an? Und wie gehe ich in meinem Unternehmen oder Projekt die digitale Transformation an? Das sind zentrale Fragen, die jeden Akteur und jede Unternehmung der Bauwirtschaft interessieren müssen. Digitalisierung heisst zugleich Vernetzung. Mit Hilfe der digitalen Technologien werden durchgängige und datenbasierte Prozesse möglich. Digitalisierung schafft also die Basis für die Vernetzung der Wertschöpfungskette. Sie beginnt bei der der Machbarkeitsstudie geht über die Bestellung, Planung, Ausführung über zum Betrieb und zur Bewirtschaftung und umfasst schliesslich den geordneten Rückbau und die Rückführung der Baumaterialien und Bauprodukte in den Kreislauf. Strukturierte und von Maschinen interpretierbare Informationen bilden das Fundament für die Vernetzung der Wertschöpfungskette und für das Lifecycle Data Management von morgen.

In der aktuellen Praxis ist eine echte digitale Durchgängigkeit allerdings nur schwer umzusetzen, weil Daten viel zu heterogen vorliegen und Unternehmen dazu tendieren, ihre eigenen Datenstrukturen aufgrund von projektspezifischen Anforderungen anzulegen. Die Digitalisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft ist deshalb vor allem auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.


Welche Herausforderungen und Chancen sehen Sie für die digitale Transformation der Branche in Zukunft?
Die Digitalisierung bietet riesige Chancen für eine nachhaltigere Bau- und Immobilienwirtschaft. Zum Beispiel ist die Bauwirtschaft für über 80 Prozent des gesamten Abfallaufkommens in der Schweiz verantwortlich. Theoretisch lässt sich der Bauabfall fast zu 100 Prozent wiederverwenden oder rezyklieren. Die gute Nachricht ist, dass davon bereits über zwei Drittel in den Kreislauf zurückgeführt werden. Die schlechte Nachricht: Der restliche, nicht verwertete Anteil Bauabfall ist immer noch viel grösser als der gesamte übrige Abfall in der Schweiz. Und weil die Deponiergebühren im benachbarten Ausland günstiger sind als in der Schweiz, wurden im Jahr 2022 rund 15'000 Lastwagen Bauschutt nach Deutschland gekarrt.

Dieser Ressourcenverbrauch lässt sich mit Hilfe der Digitalisierung drastisch senken: Der «digitale Kreislaufzwilling» macht den Kreislaufprozess für Baumaterialien und Bauprodukte planbar und schafft damit eine grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft.

 
Welche Rolle spielt die Swissbau als Branchentreffpunkt bei der digitalen Innovation?Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland engagiert sich für eine konsequente Nutzung der genannten Potenziale. Genau da setzt der von Bauen digital Schweiz initiierte Use Case Management Service von buildingSMART an. Er gliedert BIM-Projekte in einzelne Anwendungsfälle, sog. Use Cases, und schafft damit die Grundlagen für ein durchgängiges Informationsmanagement. An der Swissbau 2024 präsentieren und diskutieren wir drei konkrete Use Cases zum «digitalen Kreislaufzwilling»: Bestandsinventarisierung, Materialpass und Lean-Deconstruction. Anhand von realen Beispielen zeigen wir, dass die Digitalisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft vor allem auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung ist. Die Swissbau bringt die gesamte Wertschöpfungskette zusammen. Nirgendwo sonst treffen sich alle Akteure an einem Ort.


An der Swissbau haben Sie sich während der letzten Jahre stark für die Weiterentwicklung der Kollaborations-Plattformen Swissbau Focus und Lab engagiert. Weshalb?
Die Swissbau bietet uns mit den beiden interdisziplinären Netzwerk-Plattformen Swissbau Focus und Swissbau Lab den idealen Rahmen für Sensibilisierung, Austausch und Diskussion. Hier werden die Grundsteine für die Etablierung von Branchenstandards gelegt. Deshalb ist Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland zusammen mit dem SIA Leading Partner von Swissbau Focus und Lab.

 
Welche Rolle spielt praxisnahes Knowhow bei der digitalen Transformation?
Konkrete Beispiele und erste Erfahrungen sind wichtige Enabler bei einer Veränderung hin zu besseren Prozessen. Nur von Practice über Practice kommen wir irgendwann zur Best-Practice. Auch die drei erwähnten konkreten Use Cases zum «digitalen Kreislaufzwilling» befinden sich erst im Status «Practice» und es braucht Nachahmer, die auf diesen Grundlagen und gemachten Erfahrungen aufbauen und ihre Erfahrungen wiederum teilen. Der von Bauen digital Schweiz initiierte Use Case Management Service von buildingSMART bildet die Kollaborationsplattform dazu: gemeinsam von der Practice zur Best Practice und damit zum Grundstein für Branchenstandards.


Was sind ihre Persönlichen Highlights an der Swissbau 2024?
In der Keynote Session vom 17. Januar um 17:00 Uhr (Focus Arena) stellt das netzwerk_digital seine Vision der zukünftigen Bau- und Immobilienwirtschaft vor und präsentiert seine Strategie und den Stufenplan für einen koordinierten Weg dorthin. Anschliessend werden diese auf einem Podium von Industrievertretern kritisch reflektiert.

Am Main Event vom 19. Januar um 14:00 Uhr (Focus Arena) stellt Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland ihre Vision zum «digitalen Kreislaufzwilling» und dazu drei konkrete Use Cases vor: Bestandsinventarisierung, Materialpass und Lean-Deconstruction.

Und an der Panel Discussion vom 19. Januar um 15:30 Uhr (Focus Arena) diskutieren Hochschul- und Wirtschaftsvertreter, welche Kompetenzen die Bauwirtschaft im Jahr 2030 braucht: Braucht es den Menschen in der zukünftigen Bau- und Immobilienwirtschaft noch und welche Aufgaben übernimmt er?


Zur Person
Markus Weber ist ein ausgewiesener Experte für das digitalbasierte Planen, Bauen und Bewirtschaften von Bauobjekten bzw. BIM – Building Information Modeling – und LCDM - Lifecycle Data Management. Als Mitinitiator und Präsident von «Bauen digital Schweiz / buildingSMART Switzerland» und Vize-Präsident vom «netzwerk_digital» setzt er sich national für einen geordneten und effizienten Weg der Schweizer Bauwirtschaft bei der Digitalisierung ein. An der Hochschule Luzern – Technik und Architektur ist er Co-Studiengangleiter für die neuen Bachelor BA/BSc Studiengänge und das CAS/MAS Weiterbildungsprogramm Digital Construction und bildet die dringend notwendigen Fachkräfte mit digitalen Skills für die Bau- und Immobilienwirtschaft von morgen aus.

 

Alle Veranstaltungen mit Markus Weber:

Keynote Session
17. Jan. 2024 17:00 - 18:00 | Arena / Swissbau Focus / Halle 1.0 | Livestream
Impulse und Stufenplan für die digitale Transformation

Main Event
17. Jan. 2024 14:00 - 15:00 | Arena / Swissbau Focus / Halle 1.0 | Livestream
Kreislaufwirtschaft auf dem Prüfstand – Welche Geschäftsmodelle funktionieren?

Praxis Talk
18. Jan. 2024 11:00 - 12:00 | Raum 3 / Swissbau Focus / Halle 1.0 | Livestream
Use Case zur Kreislaufwirtschaft konkret!

Panel Discussion
19. Jan. 2024 15:30 - 16:30 | Arena / Swissbau Focus / Halle 1.0 | Livestream
Kompetenzen für die Bauwirtschaft 2030

Main Event
19. Jan. 2024 14:00 - 15:00 | Arena / Swissbau Focus / Halle 1.0 | Livestream
Zirkuläres Bauen in der Schweiz – Digitales Ökosystem als Schlüssel?