Der Gebäudepark der Schweiz ist in die Jahre gekommen und muss saniert werden. Diese Botschaft ist weitgehend angekommen. Dennoch werden die Sanierungsziele schleppend erreicht. Warum?
Unter den in der Schweiz rund 21'000 Minergie-zertifizierten Gebäuden sind nur gerade mal 2'000 sanierte Altbauten. Dies verdeutlicht, dass bei Neubauten Nachhaltigkeit praktisch Standard ist, während bei Altbauten ein riesiger Nachholbedarf besteht – und auch ein enormes Potential. Denn durch die energetische Sanierung des bestehenden Gebäudebestands kann so viel Energie und CO2-Ausstoss eingespart werden, wie sonst nirgends.
Seit einem Jahrzehnt gewähren 16 Kantonalbanken sowie national tätige Kreditinstitute (CS, UBS, Raiffeisen oder Bank COOP und so weiter) Vorzugshypotheken unter dem Titel MINERGIE-Hypothek. Diese sind an Energiekriterien gemäss MINERGIE-Reglement gebunden.
Labels zur Zertifizierung konkurrenzieren sich, grüne Immobilienfonds erobern den Markt, Nachhaltigkeitsstrategien gehören zum guten Ton und Immobilien-Investoren und -Dienstleister sehen sich vor neuen Herausforderungen. Welches sind die richtigen Labels?
MINERGIE ist der Baustandard mit der höchsten Marktdurchdringung weltweit. Er konzentriert sich auf die Energieeffizienz und den Komfort, den die Gebäude bieten sollen. Selbst MINERGIE-ECO ist kein umfassendes Nachhaltigkeitslabel, könnte aber die Grundlage für die Entwicklung eines Schweizer Gebäudelabels für nachhaltige Bauten sein. Diese Empfehlung formuliert eine ad-hoc-Gruppe in einer entsprechenden Vorstudie. Die Frage stellt sich: Warum sollen wir in unserem Land nicht einfach internationale Gebäudelabels wie LEED, BREEAM oder DGNB/SGNI anwenden? Oder anders gefragt: Warum brauchen wir ein schweizerisches Zertifizierungssystem für nachhaltige Bauten?
Die Schweiz hat dank dem Label MINERGIE den weltweit mit Abstand höchsten Anteil von zertifizierten Bauten. Bei Neubauten beträgt der Zertifizierungsanteil heute über 20%. Das Label hat sich in den letzten Jahren auch kontinuierlich weiterentwickelt und hat jetzt mit MINERGIE-A ein Label lanciert, welches bezüglich ganzheitlicher Optimierung mehr Handlungsspielraum offenlässt. Zudem werden die Gesetzlichen Vorschriften der Kantone kontinuierlich verschärft. Ist also bei den Bauten alles im grünen Bereich? Beileibe nicht!
Minergie ist zunächst einmal ein Label. Und zwar ein sehr erfolgreiches, gibt es doch in keinem anderen Land einen so hohen Anteil zertifizierter Gebäude wie in der Schweiz. Es ist eine Art Gütesiegel, anhand dessen potenzielle Nutzniesser (Bauherrschaften, Investoren, Käufer und so weiter) die zu erwartende Qualität einer Immobilie «ablesen» können. Damit erfüllt es im Immobilienmarkt eine Scharnierfunktion zwischen Angebot und Nachfrage.
Mit Nachhaltigkeit und entsprechenden Gebäudelabels assoziert man hehre Ziele. Doch auch in diesem Bereich ist man nicht frei von ökonomischen Abhängigkeiten. So finden sich in der Schweiz beispielsweise am meisten Minergiebauten an ökonomisch privilegierten Standorten.
Für die meisten Investoren bedeutet Nachhaltigkeit beim Bauen schon lange nicht mehr nur «Bauen nach Minergie». Die verschiedenen Minergiestandards berücksichtigen vorallem die Energieaspekte; nur Minergie ECO sprengt diesen Rahmen und fragt auch nach der Ökologie, Wohnhygiene und der Grauen Energie. Für uns sind aber darüberhinaus weitere Umweltaspekte, aber auch die anderen Säulen der Nachhaltigkeit, die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte zu berücksichtigen, wie sie der SIA in seiner Empfehlung 112/1 bereits 2004 definiert hat. Moderne Labels wie das Deutsche Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen DGNB bewerten alle drei Säulen der Nachhaltigkeit.
Labels sind bei Gebäuden noch ein neueres Phänomen. In vielen anderen Bereichen sind sie hingegen schon sehr verbreitet, so bei Lebensmitteln (z.B. Bioprodukte), Haushaltgeräten und bei Autos (aktuell: neue Energieetikette für Personenwagen). Bei Gebäuden wurden die Vorschriften und Anforderungen an die Energieeffizienz für Neubauten sukzessive verschärft, ein obligatorisches Label oder Zertifikat gibt es bisher aber nicht.