«Kreislaufwirtschaft gelingt nur gemeinsam – und wenn wir früh die richtigen Entscheidungen treffen»
Mit der Norm SIA 390/1 «Klimapfad» und dem Aktionsplan Klima, Energie & Ressourcen setzt der SIA klare Zeichen für ein klima- und ressourcenschonendes Bauen. Sarah Schalles, Jörg Dietrich und Sarah Mettan erläutern, warum Ökobilanzierung, Wiederverwendung und Suffizienz nicht mehr wegzudenken sind.
Beschäftigen sich beim SIA mit dem Thema des nachhaltigen Planens und Bauens: V. l. n. r. Sarah Mettan, Verantwortliche Raumplanung, Jörg Dietrich, Fachverantwortlicher Klima und Energie, Sarah Schalles, Vorstandsmitglied / © Reto Schlatter
Welcher Gedanke ist für Sie zentral, wenn die Planungs- und Baubranche nachhaltiger bauen will?
Jörg Dietrich: Nachhaltiges Bauen beginnt damit, zu verstehen, was unser Tun bewirkt – und nicht nur Materialien im Kreis zu führen.
Sarah Schalles: Nachhaltiges Bauen braucht Haltung – weg vom Silodenken, hin zum gemeinsamen Weiterdenken.
Sarah Mettan: Nachhaltiges Bauen soll am tatsächlichen Bedarf ansetzen – und als Chance verstanden werden, nicht als Zusatzaufgabe.
Wie hat sich der SIA-Aktionsplan seit der letzten Swissbau entwickelt?
Sarah Schalles: Der SIA hat wichtige Grundlagen geschaffen und erste Massnahmen umgesetzt. Expertengruppen aus unterschiedlichen Disziplinen haben acht Handlungsfelder erarbeitet – Bereiche, in denen besonders viel Potenzial liegt, um Emissionen zu reduzieren und Ressourcen zu schonen. Damit haben Planende und Bauherrschaften eine Art Checkliste für nachhaltiges Bauen. Diese zeigt deutlich: Es reicht nicht, einzelne Faktoren wie Energie oder den Betrieb zu optimieren. Material, Bestand, Mobilität, Raumplanung oder Kreislaufwirtschaft müssen zusammen gedacht werden. Diesen Wandel spüren wir in der ganzen Branche. Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft werden zunehmend Teil des alltäglichen Planens. Genau hier hilft die Norm SIA 390/1 «Klimapfad – Treibhausgas über den Lebenszyklus von Gebäuden». Sie definiert klare Kriterien und Zielwerte für den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Aber nur eine Norm zu veröffentlichen, reicht nicht, sie muss in der Praxis ankommen. Genau dabei unterstützt der SIA-Aktionsplan. Wir gehen raus, wir erklären, wir zeigen Beispiele, wir schulen und begleiten und schaffen so die Voraussetzungen, dass die Branche in Richtung Netto-Null arbeiten kann.
Warum ist Kreislaufwirtschaft so wichtig, wenn die Umweltbelastung eines Gebäudes über den Lebenszyklus hinweg reduziert werden soll?
Jörg Dietrich: Wenn wir über Klima, Energie und Ressourcen sprechen, zeigt sich, dass das Bauen über den gesamten Lebenszyklus hinweg erhebliche Umweltschäden verursacht: von der Rohstoffgewinnung über den Betrieb bis zur Entsorgung. Ein wichtiger Indikator dafür sind die grauen Emissionen. Sie machen sichtbar, welche Belastung ein Bauprojekt bereits in der Erstellung verursacht. Die Kreislaufwirtschaft ist dabei ein zentraler Hebel, um diese Emissionen zu reduzieren. Die Wiederverwendung von Bauteilen und Materialien gehört zu den wirkungsvollsten Ansätzen. Mit den Zielwerten der SIA 390/1 ist definiert, wie ambitioniert wir handeln müssen.
Was versteht man unter einer Ökobilanz und wie lässt sie sich in der Planungspraxis anwenden?
Jörg Dietrich: Eine Ökobilanz zeigt, welche Umweltbelastungen ein Gebäude über seinen gesamten Lebenszyklus, von der Herstellung der Materialien, den Betrieb bis zum Rückbau, verursacht. Grundlagen dafür sind die Umweltdaten der verwendeten Baustoffe. In der Schweiz stellt die «Plattform Ökobilanzdaten im Baubereich» die Daten zur Verfügung. Diese beschreiben präzise, wie stark einzelne Materialien die Umwelt belasten.
Sarah Schalles: Auch auf europäischer Ebene passiert viel: Künftig müssen Bauprodukte Umweltindikatoren mitliefern, was die Transparenz weiter erhöht. Für die Berechnung selbst gibt es klare Regeln, etwa im SIA-Merkblatt 2032. Und mit der Rechenhilfe zur SIA 390/1 steht ein Tool zur Verfügung, das die Berechnung und Bewertung der Treibhausgasemissionen über den gesamten Gebäudelebenszyklus erleichtert. So kann man bereits in frühen Projektphasen erkennen, wo die grössten Umweltbelastungen liegen und welche Hebel man nutzen kann, diese zu reduzieren.
Gibt es Projekte, die zeigen wie Kreislaufwirtschaft und Ökobilanzierung in der Praxis funktionieren?
Jörg Dietrich: Ja, es gibt bereits gute Vorzeigeprojekte. Ein Beispiel ist K118 in Winterthur. Dort wurde eine Aufstockung mit einem grossen Anteil wiederverwendeter Bauteile realisiert. Durch diesen ReUse-Ansatz konnten rund 60 % der grauen Emissionen eingespart werden. Ein anderes Beispiel ist das Projekt Hortus, welches als klares Ziel die Minimierung der grauen Emissionen hatte und dies die Konstruktion und Materialwahl prägte. Und im Franck Areal in Basel sieht man, wie die Vorgabe der Zielwerte der SIA 390/1 in der frühen Planungsphase die Wiederverwendung bestehender Bausubstanz in einer Arealentwicklung begünstigt. Ein grosser Teil des Bestands bleibt erhalten, was die Umweltbelastung deutlich reduziert. Diese Projekte zeigen, dass die Zielwerte erreichbar sind, wenn man die richtigen Hebel nutzt. Damit sich solche Ansätze breit durchsetzen, braucht es eine höhere Nachfrage. Eine Ökobilanz sollte künftig einen ähnlichen Stellenwert haben wie eine Kostenkalkulation. Derzeit ist das bei vielen Projekten noch nicht der Fall.
Wo liegen aus Sicht der Raumplanung die wichtigsten Hebel und auch die grössten Hürden, wenn wir nachhaltiger und kreislauffähiger bauen wollen?
Sarah Mettan: Zukunftsfähige Raumplanung beginnt mit einem suffizienten Umgang mit Boden, Flächen und Ressourcen. Das bedeutet, die bestehende Bausubstanz als erhaltenswert zu betrachten, Innenreserven zu nutzen und den Bestand qualitätsvoll weiterzuentwickeln. Vor 15 Jahren war es noch üblich, auf der grünen Wiese neu zu bauen. Gleichzeitig müssen wir den Flächenverbrauch pro Kopf reduzieren – indem wir zum Beispiel die gemeinsame Nutzung von Flächen, Gebäuden oder Räumen als Bestandteil einer ressourcenschonenden Planung etablieren. Ausserdem braucht es vorausschauende Strategien: Hitzeperioden, Starkregenereignisse und andere klimatische Veränderungen müssen früh mitgedacht werden. Und auch der sorgfältige Umgang mit dem «grünen Bestand», zum Beispiel mit grosskronigen Bäumen oder Biodiversitätsflächen. Voraussetzung ist eine enge Zusammenarbeit über alle Disziplinen hinweg, weil nachhaltiges Bauen nur gemeinsam gelingt. Auch fehlen oft Vorgaben von Bund oder Kantonen, die Ziele, Standards oder Rahmenbedingungen für eine nachhaltige räumliche Entwicklung verbindlich festlegen. Was es den Gemeinden erschwert, die Planung zu koordinieren. Viele kleinere Gemeinden verfügen ausserdem nicht immer über die notwendigen personellen oder finanziellen Ressourcen sowie das nötige Wissen, um eine nachhaltige Weiterentwicklung im Bestand aktiv voranzutreiben.
Welche Akzente möchte der SIA an der Swissbau setzen?
Sarah Schalles: An der Swissbau bringt der SIA sein fachliches Know-how ein – insbesondere zur Frage, wie die Planungs- und Baubranche nachhaltiger werden kann. Ein zentraler Punkt sind die Zielwerte der SIA 390/1, also die Ökobilanzierung als Grundlage. Sie liefert die notwendige Grundlage, um Zielkonflikte zwischen Klimazielen, Wirtschaftlichkeit und Ressourceneinsatz zu erkennen und Entscheidungen im Projekt zu vergleichen. Gleichzeitig moderiert der SIA den Austausch zwischen Industrie, Immobilienwirtschaft, Politik und Planung, um gemeinsam zu definieren, wo diese Zielkonflikte liegen und wie sie angegangen werden können. Kreislaufwirtschaft gelingt nur gemeinsam – und wenn wir früh die richtigen Entscheidungen treffen.