Standpunkt SBIL on tour 2022

Nur Unverfügbares veranlasst uns zur Innovation

An der Swissbau Compact im Mai dieses Jahres wurde im Innovation Lab ein Feuerwerk spannender Innovationen vorgestellt. Die Orientierung in dieser grossen Fülle an Informationen war teils eine Herausforderung.

Darum – und, um einen einfacheren Zugang zu diesen vielen spannenden Themen zu bieten – haben wir alle Innovationen der Partner sowie die Prototypen aus dem iRoom erstmals im SIA-Phasen-Modell verortet. Das Ergebnis: eine interaktive Grafik, welche heute online sowie am Swissbau Innovation Lab on Tour in uptownBasel publiziert wird.

An der Swissbau Compact im Mai 2022 ist im iRoom auf einer 270-Grad-Leinwand der Film zum Innovation Lab gezeigt worden. Viele Besucher der Swissbau haben ihn gesehen. Einige haben mir später gesagt, dass sie recht ratlos gewesen seien, als sie das Rundum-Kino wieder verlassen hätten. Die Zuschauenden hätten zwar viele multimedial aufbereitete Informationen zu den verschiedenen Projektideen erhalten, sie konnten sich draussen im Innovation Lab aber nicht orientieren. Vielen ist es so verwehrt gewesen, die gewünschte Firmen-Stehle oder den gewünschten Projektraum aufzufinden. Andere fragten, ob denn die sieben im iRoom vorgestellten Projekte weitergehen würden, oder ob sie, wie sie meinten, wie Vieles, wieder versanden würden.

Mir kommt das so vor, wie es der deutsche Soziologe Hartmut Rosa in seinem Buch «Unverfügbarkeit» beschreibt und ich es hier versuche zu adaptieren: Die grosse Verfügbarkeit von Informationen, z.B. im iRoom-Film sowie im Innovation Lab, führt dazu, dass sich eine Unverfügbarkeit einstellt: Frau / man hat gar nicht die Zeit, also die Verfügbarkeit dieser wichtigen Ressource, sich mit allem zu beschäftigen und insbesondere alles auszuprobieren und in die eigene Projektwelt einzubinden. Dazu hat auch ein Bezugssystem gefehlt, das die einzelnen Innovationen soweit möglich transparent einordnet und dessen Achsen entlang ein gezielter Stand-Besuch möglich geworden wäre.

Wir vom SIA-Fachbereich «Digitale Prozesse» suchten aus Interesse an der Materie eine passende Einordnung für das Gesehene, quasi ein Modell für die bessere Verfügbarkeit der Innovationen. Gemäss Herbert Stachowiak hat ein Modell drei Haupteigenschaften: Die Abbildungseigenschaft, die Verkürzungseigenschaft und die pragmatische Eigenschaft. Unser Modell soll ein Abbild der Beziehung zwischen den Innovation Lab-Projekten und der Bauwirtschaft zeigen. Es muss eine Verkürzung erfolgen, denn nicht alle Aspekte können berücksichtigt werden. Der pragmatische Ansatz führt dazu, dass bei der Adaption ein bekanntes Bezugssystem zu Hilfe genommen wird. Es wird Sie nicht erstaunen, dass wir das SIA-Phasen-Modell aus der Verständigungsnorm SIA 112 «Modell Bauplanung» verwendet haben, ergänzt mit der zusätzlichen Phase «0 Initialisierung» aus der SIA 101 «Ordnung für Leistungen des Bauherrn».

In einem Dreier-Team haben wir alle Innovationen aus dem Innovation Lab einer SIA-Teilphase bzw. einer Folge von Teilphasen zugeordnet, was in der Regel nicht eindeutig möglich gewesen ist. Wir mussten uns auf die Relevanz-Information konzentrieren, denn die einfache und eindeutige Klassifizierungs-Information ist oft nicht gegeben gewesen. Wir «Einordner» sind deshalb auch angreifbar mit unserer Einteilung, weil wir eventuell eine bestimmte Einsatzmöglichkeit der Innovation übersehen haben. Selbstverständlich hätte es hierfür eine Alternative gegeben: Wir hätten alle Projekte allen Teilphasen zuordnen können, dann wäre keines benachteiligt gewesen. «Wenn jedes mögliche Element mit jedem anderen möglichen Element verknüpft wäre, könnten Daten keinerlei Information hergeben, also keinen Unterschied machen», meint der deutsche Soziologe Armin Nassehi in seinem Buch «Muster, Theorie der digitalen Gesellschaft». Bei Zuordnung aller Innovationen zu allen Teilphasen hätten Sie und wir keinen Gewinn daraus. In der Regel ist eine Kennzeichnung, auch wenn sie nicht die komplett vollständige und richtige ist, besser als gar keine. Oft sind auch Vergleiche interessant, z.B. wenn man weiss, dass sich zwei Dinge gleich oder ähnlich verhalten oder eine direkte Weiterentwicklung voneinander darstellen.

Als ich unsere Einteilung in Form einer Tabelle den Verantwortlichen des Swissbau Innovation Lab on Tour gezeigt habe, ist Interesse entstanden, und ich bin nach meinen Herbstferien von einer grafischen Umsetzung durch die Firma beyondBIM AG überrascht worden. Und die ist nun online verfügbar: Innovationen der Partner des Swissbau Innovation Lab 2022 im SIA-Phasenmodell

So ergänzen sich Initiativen, es braucht die richtigen Vermittler, und die passenden Partner. Wäre auch hier wiederum alles miteinander verknüpft, so können, frei zitiert nach Armin Nassehi, sich keine Innovationen entwickeln. Zudem: Wenn alles bereits verfügbar ist, gibt es keinen Antrieb neue Ufer auszuloten. Nur wenn wir Unverfügbares zulassen und mit neuen Wünschen anreichern, entwickeln wir uns weiter.

Der Autor dankt der beyondBIM AG, der Swissbau, IEU und seinem Team für die gelungene Umsetzung.

Urs Wiederkehr, Dr. sc. techn., Dipl. Bau-Ing. ETH/SIA, Leiter Fachbereich «Digitale Prozesse», Geschäftsstelle Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA


Quellen:

Nassehi Armin: Muster, Theorie der digitalen Gesellschaft, C.H. Beck, München 2019

Rosa Hartmut: Unverfügbarkeit, Suhrkamp / Residenzverlag Wien, Berlin 2018/2022

SIA 101:2020 «Ordnung für Leistungen des Bauherrn - Verständigungsnorm», Bezug über http://shop.sia.ch/

SIA 112:2014 «Modell Bauplanung - Verständigungsnorm», Bezug über http://shop.sia.ch/

Stachowiak Herbert: Allgemeine Modelltheorie, Springer, Wien/New York 1973

Vester Frederic: Die Kunst vernetzt zu denken, Ein Bericht an den Club of Rome, Penguin Random House, München 1999/2019 [Relevanz-Universum nach Magoroh Maruyama]