Nachgefragt SBIL on tour 2022

«Firmen müssen sich auf den gemeinsamen Erfolg ausrichten»

Warum ist die digitale Transformation für manche Menschen und Unternehmen so schwierig? Im Expertengespräch erklären Birgitta Schock von schockguyan GmbH und Christoph Maurer vom SIA, wie man den digitalen Wandel angehen kann und warum die Baubranche ein neues Verständnis von Zusammenarbeit braucht.

Wie erleben Sie persönlich die digitale Transformation in Ihrem Arbeitsalltag? 

Birgitta Schock: Ich treffe auf drei Gruppen von Menschen und Firmen. Etwa 30 Prozent sind der Meinung, der digitale Wandel sei nicht relevant oder finde nicht statt. 50 Prozent wollen mehr diskutieren, bevor sie etwas tun. Und vielleicht 20 Prozent sind Feuer und Flamme – sie glauben daran, dass die Transformation wichtig ist und haben sie mehrheitlich auch schon umgesetzt. Diese letzte Gruppe beginnt, auf die Unschlüssigen einzuwirken, sodass auch diese sich auf den Weg machen. Aber das ist ein sehr langsamer Prozess.

Christoph Maurer: Der digitale Wandel existiert bereits, seit ich vor rund 30 Jahren in die Arbeitswelt eingestiegen bin. Zuerst wurden die individuelle Arbeit und der individuelle Arbeitsplatz digitalisiert – die Transformation geschah vor allem auf Stufe Einzelperson. Nun stellen wir fest, dass auf der Stufe der Zusammenarbeit zwischen den Firmen das Digitale immer wichtiger wird. In der Baubranche steht Building Information Modeling (BIM) dabei gar nicht unbedingt im Vordergrund. Vielmehr versuchen die Firmen, ihre gemeinsamen Prozesse durch digitale Hilfsmittel zu vereinfachen, beispielsweise die Abläufe bei Rechnungen oder bei der Identifikation und Behebung von Mängeln. In diesem Bereich sehe ich grosses Potenzial.

Was sind die Chancen der Transformation für die Bau- und Immobilienbranche?

Maurer: Der digitale Wandel hilft zum Beispiel, eine Grundidee aus dem Lean Management umzusetzen: das Vermeiden von Leerprozessen und unnötigen Arbeiten. In unserer Branche ist das eine grosse Chance für die Planung ebenso wie für die Ausführung. Ein weiteres Beispiel sind die Anforderungen der Bauherrschaft. Sie müssen für alle nachvollziehbar sein und jederzeit einen Soll-Ist-Vergleich ermöglichen. Heute ist das oft nicht der Fall, weil die Anforderungen ungenügend festgehalten werden und nicht digital verarbeitbar sind. Die Folge sind Fehlplanungen und hohe Zusatzaufwände. Eine durchgängig digitale Planung schafft Abhilfe.

Schock: Die digitale Transformation ist ein Prozess der stetigen Weiterentwicklung digitaler Technologien, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft unterstützen. Die Transformation wirkt in mindestens fünf Bereichen: Strategieentwicklung, Organisationsstrukturen, durchgängige Prozesse, individuelle Bedürfnisse und natürlich innovative Technologien.

Gibt es auch Risiken?

Schock: Die digitale Transformation ist kein Risiko. Sie birgt aber Herausforderungen für uns Menschen, weil wir uns mit Veränderungen schwertun. Wir müssen lernen, mit einem kontinuierlichen Wandel umzugehen. 

Maurer: Oft fehlt es an der Bereitschaft oder auch an den Fähigkeiten, den Wandel mitzumachen. Da dieser aber ohnehin stattfindet, besteht die Gefahr, dass diese Menschen abgehängt werden. Mit Schulungen versuchen wir, diesem Risiko zu begegnen.

Wie kann man den Menschen die Angst vor dem Wandel nehmen und sie stattdessen davon überzeugen?

Schock: Ich durfte kürzlich vor einigen Mitarbeitenden einer kommunalen Verwaltung ein Impulsreferat zur digitalen Transformation geben. Darunter waren nicht nur Projektleitende, sondern auch Angestellte aus der Administration – Menschen mit Aufgaben, die wohl nach und nach automatisiert werden. Diese Menschen hatten das Gefühl, mitgenommen zu werden und sich einbringen zu können. Diese Reaktion hat mir gezeigt, wie wichtig eine zielgruppengerechte Kommunikation ist. Die Menschen müssen abgeholt werden und verstehen, wo sich auch für sie Chancen ergeben.  

Maurer: Überzeugung ist dann sehr einfach möglich, wenn der Nutzen offensichtlich ist. Das Natel wurde vor zwanzig Jahren auch kritisch gesehen – heute ist es eine Selbstverständlichkeit, weil die Vorteile klar überwiegen. Der Nutzen vieler digitaler Neuerungen ist aber nicht immer offensichtlich. Oft liegt er auch nicht beim Anwender selbst, sondern auf Prozessstufe. Da fragen sich die Menschen natürlich oft, warum sie einen Zusatzaufwand erbringen sollen, wenn sie nicht selbst direkt davon profitieren.

Was antworten Sie diesen Menschen?

Maurer: Ich versuche Verständnis dafür zu wecken, dass die Mitarbeitenden von Firma A Informationen von Anfang an so produzieren sollten, dass Firma B und Firma C diese später ohne Zusatzaufwand weiternutzen können. So vermeidet man unnötige Arbeiten und spart viel Zeit. Ich habe jedoch erst kürzlich wieder erlebt, dass bei einem Projekt Listen als PDF weitergegeben wurden und damit kaum weiterverarbeitet werden konnten. Bereits ein Excel-File wäre zielführender gewesen – aber die Firma weigerte sich, die Originaldatei herauszugeben.

Schock: Dahinter steckt die Befürchtung, dass man etwas weitergibt, das anderen dann mehr nutzt, dass Know-how gestohlen wird oder Leistungen nicht entschädigt werden. Das Verständnis für den gemeinsam Projekterfolg fehlt oft noch. 

Sind neue Honorierungsmodelle nötig, um das zu ändern?

Schock: Ja, aber es geht darüber hinaus. Ich kann mir vorstellen, dass Ansätze aus der integrierten Projektabwicklung helfen. Das wichtigste Merkmal dabei ist die Ausrichtung auf den gemeinsamen Erfolg. Zu diesem Paradigmenwechsel gehören nicht nur entsprechende Verträge und Honorierungen – es braucht auch Vertrauen unter den Projektpartnern. Mit unserer Kultur der Zusammenarbeit, beispielsweise auch zwischen den Sprachregionen, haben wir in der Schweiz eine gute Ausgangslage. Dennoch hört man in der Realität oft ein «das geht nicht», wenn ein neuer Ansatz vorgeschlagen wird. 

Maurer: Wir kennen traditionell eine starke Trennung zwischen den Gewerken. Vor allem bei der Gebäudetechnik funktioniert es aber nicht ohne Zusammenarbeit. Dabei passieren auch immer wieder Fehler, die gemeinsam ausgebügelt werden müssen. Es sollte schon in den Verträgen geregelt sein, dass dabei nicht die Fehlersuche und Schuldzuweisungen im Fokus stehen, sondern die gemeinsame Lösungssuche. Aktuell werden damit bereits Erfahrungen in sogenannten Allianz- oder Mehrparteienverträgen gesammelt. Hilfreich ist auch der Abschluss einer projektweiten All-Risk-Versicherung, der sämtliche Projektbeteiligten unterstellt werden.

Wie sollten Firmen in der Baubranche die Transformation angehen?

Maurer: Viele Firmen haben den digitalen Wandel nicht nur angegangen, sondern sind auch schon sehr weit, beispielsweise im Holzbau. Wem der Wandel noch bevorsteht, sollte sich fragen: Wie ist mein Geschäftsmodell? Ist es auch künftig noch tragfähig? Wo können digitale Tools oder Automatisierungen helfen, es zu verbessern? Um solche Fragen zu beantworten, können auch externe Berater, junge Mitarbeitende oder Studierende eine Hilfe sein. Entscheidend ist nicht unbedingt, wie man die Transformation angeht, sondern dass man sie angeht.

Schock: Entscheidungsträger müssen sich zuerst fragen, was sie verändern müssen, bevor sie ihre Mitarbeitenden mitnehmen können. Wo soll und kann die Unternehmung oder die Organisation in Zukunft wirtschaftlich funktionieren? Was muss sich heute verändern? Wenn Mitarbeitende wertvolle Schulungen und Ausbildungen erhalten, sich in ihrem Umfeld aber nichts ändert, bleibt die Firma auf Feld 1. Mein Rat: Machen, ausprobieren, aus der Komfortzone rauskommen, auch mal mit einem Konkurrenten zusammenspannen. Es gibt kein Lehrbuch, aber man kann Hilfe bekommen, die Unterstützung ist da. Der Baumeisterverband hat zum Beispiel ein nützliches Tool entwickelt, mit dem man prüfen kann, wo man steht, und das einem hilft, die ersten Schritte einzuleiten.

Ihr abschliessendes Statement?

Maurer: Die Chancen des digitalen Wandels sind enorm, darauf sollten wir den Fokus legen – nicht zuletzt, um mehr Nachhaltigkeit in der Baubranche zu ermöglichen. Ohne digitale Hilfe werden wir die Klimaziele nicht erreichen.

Schock: Man hört immer wieder, dass Daten die neue Währung seien. Diese Denkweise behindert den Austausch von Daten. Ich bevorzuge die Idee, dass Daten die neue Nahrung sind – eine neue Überlebensmöglichkeit, die wir gemeinsam und mit einer gewissen Entspanntheit nutzen sollten.

Birgitta Schock
Die Architektin Birgitta Schock ist Vorstandsmitglied des SIA, Chairwoman von buildingSMART Switzerland und Partnerin bei schockguyan gmbh. 

Christoph Maurer
Der Architekt Christoph Maurer ist Präsident der neuen SIA-Zentralkommission für Informationsmanagement und Partner bei conrealis ag.