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Standpunkt Swissbau 2026

Baukultur wird konkret

Im SIA steuern insbesondere zwei Personen die Geschehnisse im Kernthema Baukultur. Das sind Carole Pont Bourdin, Vorstandsmitglied, und Claudia Schwalfenberg, Verantwortliche Baukultur. Im Interview beleuchten sie die jüngsten Meilensteine dieses Kernthemas und seinen künftigen Weg.

Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA
8027 Zürich, Schweiz

Das Thema Baukultur ist beim SIA eines der sechs Kernthemen. Wie hat der Verein dieses Thema in den letzten Jahren besetzt?

Carole Pont Bourdin: Die Baukultur ist seit Längerem ein Kernthema des SIA und innerhalb des Vereins gut verankert. Unsere Bestrebungen liegen vor allem darin, die Branche und die breite Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Dies machen wir unter anderem mit der Webplattform «Baukultur Schweiz». 

Claudia Schwalfenberg: Wir legen beim Kernthema Baukultur grossen Wert auf partnerschaftliche Zusammenarbeit. Das spiegelt sich in den Projekten wider, die der SIA verfolgt. Wohl das wichtigste Projekt der letzten Jahre ist die von Carole Pont Bourdin genannte Webplattform «Baukultur Schweiz», für die sich der Runde Tisch Baukultur Schweiz verantwortlich zeigt. Der SIA als Initiator des Runden Tischs hat hier die operative Leitung inne. 

Was genau umfasst die Webplattform «Baukultur Schweiz»? 

Claudia Schwalfenberg: Die Webplattform sensibilisiert und begeistert für Baukultur. Sie macht das Thema und seine Akteure in der Schweiz sichtbar, fördert deren Vernetzung und einen breiten Dialog über die Schweizer Baukultur und ihre Qualitäten. Als Inspirationsquelle dienen unter anderem die Case Studies. In der ersten Phase veröffentlichten wir sechzig kuratierte Case Studies.

Und nun?

Claudia Schwalfenberg: Nun ermutigen wir Dritte, insbesondere Hochschulen, selbst Case Studies zu verfassen. Wir nennen diese «Case Studies für alle». Rund vierzig wurden bereits publiziert, mehrheitlich von Studierenden. Sie wählten eigenständig Orte aus und hielten diese in einem halbminütigen Video fest, untersuchten sie hinsichtlich der acht Kriterien des Davos Qualitätssystems für Baukultur und stellten ihre Erkenntnisse auf der Webplattform zur Diskussion. Im bewussten Appell an breite Kreise, sich mit Baukultur auseinanderzusetzen, geben wir in einem gewissen Sinne auch das Zepter aus der Hand. Aber genau das ist Baukultur. Sie geht uns alle an. 

Gibt es neben der Webplattform weitere Projekte, mit denen der SIA auf die Baukultur aufmerksam macht?

Carole Pont Bourdin: Klar. Auch der Prix SIA ist ausgelegt auf die Bewertung von konkreten Projekten anhand der acht Kriterien des Davos Qualitätssystem für Baukultur. Im Aktionsplan Klima, Energie und Ressourcen, dem aktuell wichtigsten Projekt des SIA, spielt Baukultur ebenso eine Rolle. Wenn man über das Klima spricht, gilt es nicht nur nach den vordergründig schnellsten und einfachsten Lösungen zu suchen, sondern gezielt nach Lösungen, welche die Qualität fördern. Und dann landen wir wieder bei Fragen der Baukultur. 

Der SIA ist der wichtigste Berufsverband für qualifizierte Fachleute aus den Bereichen Ingenieurbaukunst, Architektur, Technik und Umwelt. Berufe mit einer starken, technischen Komponente. Jetzt sollen sich SIA-Mitglieder verstärkt mit einer ganzheitlichen, eben baukulturellen, Sicht auf das Thema Bauen befassen. Ist das nicht ein bisschen viel verlangt? 

Carole Pont Bourdin: Nein, diese Denkart muss sich ändern. Wir bewegen uns als Planende schon lange nicht mehr in einem rein technischen Umfeld. Heute gilt es, gesamtgesellschaftliche Perspektiven miteinzubeziehen und auch zu schauen, wie beispielsweise Soziologen, Anthropologen oder Biologen über den gestalteten Lebensraum und das Zusammenleben denken. 

Claudia Schwalfenberg: Genau das kann und macht der SIA bereits. Er steht für die Interdisziplinarität seiner Berufsfelder, indem er Technik, Umwelt, Ingenieurbaukunst und Architektur unter einem Dach vereint. Nun fokussieren wir noch stärker auf ein ganzheitliches Herangehen – und zwar bereits zu Beginn konkreter Projekte. Es geht um das gemeinsame Entwickeln eines Projekts mit den verschiedenen Disziplinen sowie unterschiedlichen Betroffenen. 

Planende und die Hochschulen erreicht der SIA bereits mit seinen Projekten. Reicht das, oder wer müsste noch für das Thema Baukultur sensibilisiert werden?

Carole Pont Bourdin: Die Politik und Entscheidungsträger, die Bauprojekte finanzieren. Planende können sich gegenüber diesen Entscheidungsträgern für die Baukultur stark machen. Aber wenn Letztere noch nicht über das nötige Bewusstsein verfügen, haben Planende einen schweren Stand. Es braucht also baukulturelle Vermittlung. Dies machen eben die Webplattform Baukultur und der Prix SIA, indem sie Beispiele zeigen, analysieren und erklären. Dadurch wird das Konzept einer hohen Baukultur anschaulich. Mit diesen Beispielen kann man auf Entscheidungsträger, auch politische, zugehen. Als Mitinitiator von Archijeunes engagiert der SIA sich ausserdem für die baukulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen.

Nun gelang es im Jahr 2024 aber nicht, das Thema Baukultur gesetzlich im Natur- und Heimatschutzgesetz zu verankern.

Carole Pont Bourdin: Ich werte das nicht als Niederlage, sondern als Erfolg. Baukultur ist auf der politischen Bühne angekommen. Es wird über sie diskutiert. Aber unbestritten: Bis sie in der Praxis verankert ist, hat sie noch einige Hürden zu nehmen. Viele Leute sind noch nicht vertraut genug mit einer ganzheitlichen Baukultur. Aber wenn man sie fragt, ob sie am Schluss einen qualitativ hochwertigen Raum schaffen wollen, sei das für Mietende oder Wähler, sagen Bauherrschaften sowie Politikerinnen und Politiker ausnahmslos Ja. 

Claudia Schwalfenberg: Auch hier helfen die Beispiele, wie sie der Prix SIA und die Webplattform Baukultur Schweiz vorstellen. Sie zeigen, dass ein qualitativer Anspruch an das Bauvorhaben keine Mehrkosten und Zusatzaufwände verursachen muss. 

Gibt es weitere Beispiele, wo Baukultur konkrete Lösungen anbietet? 

Claudia Schwalfenberg: Zusammen mit der Berner Fachhochschule arbeitet der SIA als Praxispartner aktuell an einem Forschungsprojekt im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP81 – Baukultur. Das Projekt mit dem Titel «Forming Culture» fragt, wie mit einer neuen partizipativen Methode Werte und Potenziale bestehender Bauten beurteilt werden können. «Forming Culture» stellt die traditionelle Unterscheidung zwischen inventarisierten und nicht inventarisierten Bauwerken infrage. Die Erhaltung des baulichen Erbes soll nicht die Ausnahme, sondern essenzieller Bestandteil von Sanierung, Umbau, Erneuerung und Weiterentwicklung sein. Das ist eine Frage, die aus Ressourcengründen immer wichtiger wird, aber auch aus weiteren baukulturellen Gründen. 

Diese Frage wird auch an der kommenden Swissbau im Januar 2026 in einer Focusveranstaltung thematisiert. Können Sie dazu bereits etwas verraten?

Claudia Schwalfenberg: Wir werden beleuchten, wie mit dem Baubestand ein Beitrag zur Lösung der Wohnungsknappheit geleistet werden kann. Ich freue mich sehr, dass wir unter anderem Jean-François Steiert als Gast gewinnen konnten, der Politiker und Präsident der Schweizerischen Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz ist. Er steht als Staatsrat im Kanton Freiburg der Direktion für Raumentwicklung, Infrastruktur, Mobilität und Umwelt vor. Freiburg ist insofern spannend, weil der Kanton 2024 den zweithöchsten Bevölkerungsanstieg in der Schweiz aufgewiesen hat. Wie lässt sich qualitativ hochwertiger Wohnraum für Neuzuziehende schaffen und gleichzeitig historischer Bestand schonen? Diese Frage beschäftigt nicht nur Freiburg. 

Sie haben einige Projekte genannt, bei denen der SIA Wege ebnet für die Baukultur. Gibt es weitere, neue Projekte, die in absehbarer Zukunft wichtig werden? 

Claudia Schwalfenberg: Gemeinsam mit einer Arbeitsgruppe des Runden Tischs Baukultur Schweiz möchte der SIA im Jahr 2028 das Wettbewerbswesen für die Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz vorschlagen. Das Wettbewerbswesen erachten wir als wichtiges immaterielles Schweizer Kulturgut. Auf dieses Ziel arbeiten wir heute schon hin. 

Carole Pont Bourdin: Die Frage nach Neuem verkennt einen wichtigen Grundzug der Baukultur, bei der es nicht darum geht, immer nach Neuem zu suchen. Baukultur besteht zu einem grossen Teil im unermüdlichen Gespräch mit Behörden, Politikerinnen, Partnern – eben aus der interdisziplinären Vernetzung. Baukultur heisst insbesondere Grundlagenarbeit, wie beispielsweise die Weiterarbeit am Davos Prozess. Sie ist keine Effekthascherin. Es geht darum, Gutes bekannt zu machen und weiterzuentwickeln. 

Können Sie abschliessend festhalten, was Baukultur will, kann und muss?

Carole Pont Bourdin: Alle, die im Namen der Baukultur handeln, haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen den gestalteten Lebensraum so weiterentwickeln, dass er insgesamt als qualitativ hochwertig erlebt wird. Baukultur bezieht alle hierfür relevanten Disziplinen ein, um gemeinsam über Planung nachzudenken. Das ist ein reflexiver Prozess und nicht primär ein Prozess des konkreten Konstruierens. Um dieses ganzheitliche Verständnis von Baukultur zu verankern, müssen wir beständig den Austausch suchen, nicht nur mit Politik und Kultur, sondern auch mit Forschung und Lehre sowie der Öffentlichkeit.

Das Interview führte Jasmine Scheidegger Woods, Fachspezialistin Kommunikation und Themenmanagerin beim SIA.


Besuchen Sie die SIA-Veranstaltung bei der Swissbau:

Mittwoch, 21. Januar, 14 – 15 Uhr: Mit dem Baubestand die Wohnungsknappheit lösen?


Interesse am Kernthema Baukultur beim SIA?

→ Hier gibt es mehr Informationen

Ihre Kontaktperson

Sebastian Schock

Sebastian Schock

Fachspezialist Kommunikation / Community Manager Deutschschweiz

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