Standpunkt Swissbau 2024

So werden Gebäude fit für Netto-Null

Gebäudeautomation wird als Schlüssel für Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche unterschätzt. Dabei können selbst bei bestehenden Bauten mit vergleichsweise wenig Aufwand Emissionen reduziert und Kosten gespart werden.

Eigentlich braucht es weder Hitzesommer noch Tornados in Europa, um die Notwendigkeit einer Dekarbonisierung zu unterstreichen. Doch die aktuelle Entwicklung zeigt, weshalb Klimaziele besser heute als morgen erreicht werden sollten. Sollen Massnahmen greifen, muss der Hebel in allen wichtigen Bereichen angesetzt werden. Das heisst neben Verkehr, Ernährung und Konsumverhalten steht auch der Immobiliensektor im Fokus. Gerade dort ist das Potenzial enorm. Das zeigt ein Whitepaper zur Rolle der Gebäudeautomation bei der Dekarbonisierung. Entstanden ist es im Rahmen des ersten Ateliers «Automation als Hebel in der Dekarbonisierung» der Initiative «Lebensräume 2025» der BKW.

Gebäude verursachen viele Emissionen

Mit Daten verdeutlicht der Bericht, dass in der Schweiz etwa 45 Prozent des Energieverbrauchs auf Gebäude entfallen. Zudem verursachen sie hierzulande rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen. «Diese Zahlen unterstreichen das immense Potenzial der Gebäudeautomation, die einen wesentlichen Beitrag auf dem Weg zur Nachhaltigkeit leisten kann. Die Hypothese im Whitepaper lautet, dass wir allein über Automation 3 bis 4 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten einsparen können», sagt Christian Pfab, Leiter Automation bei der BKW Building Solutions und Mitverfasser des Whitepapers.

Pfab ist auch einer der Atelierhosts der Initiative «Lebensräume 2025» der BKW, die als Plattform für die gemeinsame Lösungserarbeitung zur Schaffung nachhaltiger Lebensräume dient. Dabei gilt es, die Zielsetzung des Bundes zu erfüllen, dass Schweizer Gebäuden bis 2050 plusminus Netto-Null sein müssen. Dieses ambitionierte Ziel erfordert effiziente und rasch umsetzbare Massnahmen. Einer der Vorteile der Gebäudeautomation ist denn auch ihre Anpassungsfähigkeit an alte wie neue Strukturen. Während die meisten Neubauten heute von Anfang an automatisiert gebaut werden, lassen sich auch ältere Gebäude nachhaltig umgestalten. Dabei ist jedoch entscheidend, das richtige Gleichgewicht zwischen Investitionen in die Modernisierung und der Maximierung der Effizienz zu finden.

Wirtschaftliche Anreize

Tatsächlich spielt der finanzielle Aspekt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, Immobilieneigentümer zu Investitionen in neue Entwicklungen zu bewegen. Steigende Energiepreise und zunehmende Forderungen von Investoren nach umweltfreundlichen Portfolios machen die Energieoptimierung zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor. Auch die Einhaltung von ESG-Kriterien ist für Investoren zu einer Priorität geworden. Dennoch: Die Kosten sind für viele Immobilieneigentümer nach wie vor das entscheidende Kriterium für die Einführung von Nachhaltigkeitsmassnahmen.

Doch während für konventionelle Renovationen – etwa eine neue Heizung oder eine Sanierung der Fassade – im Normalfall viel Geld in die Hand genommen werden muss, kann bei bestehenden Anlagen nur schon mit der Automatisierung viel erreicht werden. Christian Pfab: «Wir schätzen, dass Automatisierung und ein intelligenter Einsatz der verbauten Gebäudetechnik alleine einen Betrag von bis zu 20 Prozent der Einsparziele im Gebäudesektor leisten können.»

Heterogenität als Herausforderung

Die Umsetzung in bestehenden Gebäuden erfordert jedoch eine umfassende Analyse. Dieser Prozess ist nicht ohne Herausforderungen. Die Heterogenität des Schweizer Gebäudeparks und der verbauten Technik macht die Datenerfassung zu einer komplexen Angelegenheit – und eine Standardisierung nahezu unmöglich. Der Schlüssel zum Erfolg liegt denn auch im Verständnis, wie das Zusammenspiel von Beschattung, Beleuchtung, Heizung und Kühlung in Gebäuden durch automatisierte Prozesse optimiert werden kann.

Pfab weist darauf hin, dass heute in vielen Gebäuden die verbaute Technik nicht optimal respektive höchst ineffizient betrieben wird. «Wir sehen Gebäude, in denen über Jahre gleichzeitig geheizt und gekühlt wird, ohne dass es jemand merkt. Das ist völliger Unsinn und enorme Energieverschwendung», so der Experte der BKW. Dank der Automatisierung
können vorausschauende Steuerungsalgorithmen die Wetterbedingungen vorhersehen und den Energieverbrauch entsprechend regulieren.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Lebensdauer von Gebäuden. Während beispielsweise in der Transportindustrie regelmässige Erneuerungen des Fuhrparks vorgenommen werden, haben Gebäude meist eine Lebensdauer von 50 bis 80 Jahren. Daher ist die Wirkung von Nachhaltigkeitsmassnahmen zeitlich verzögert. Umso wichtiger ist es, heute zu handeln. Nur so können die Ziele für 2050 auch wirklich erreicht werden.

Win-Win für die Gesellschaft

Die Bedeutung der Gebäudeautomatisierung geht weit über einzelne Häuser hinaus. Betrachtet man ganze Areale, steigt die Komplexität. Sie erfordert innovative Ansätze wie Künstliche Intelligenz (KI) zur Optimierung der Energieverteilung. Während KI für die Automatisierung eines einzelnen Gebäudes oft nicht nötig ist, wird sie bei grösseren Netzwerken und vernetzten Systemen unverzichtbar.

Eine zunehmende Automatisierung führt deshalb zu einem erhöhten Bedarf an Fachkräften, wie auch im Whitepaper der BKW betont wird. «Wir brauchen qualifiziertes Personal, um die von uns entwickelten Ideen umzusetzen», bestätigt Pfab. Von der Installation von Solaranlagen bis zum Management der Prozesse seien gut ausgebildete Arbeitskräfte eine Voraussetzung für den Erfolg. Nur so könne die Automatisierung eine Win-Win-Situation schaffen, von der letztlich die ganze Gesellschaft profitiert, wie der Experte der BKW betont: «Die Gebäudeautomatisierung ermöglicht es uns, den bestehenden Immobilienbestand zu optimieren und gleichzeitig den Weg in eine klimafreundliche Zukunft zu ebnen».