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Wo aus einer alten Mühle ein neues Denken entsteht

Aus einer alten Mühle in Grüsch entstand ein zukunftsweisendes Wohnbauprojekt. Es verbindet ökologische Verantwortung, technische Präzision und gelebte Zusammenarbeit – und ist das erste DGNB-zertifizierte Rückbauprojekt der Schweiz.

BETONSUISSE
Bern, Schweiz

52 Mietwohnungen, optimierte Materialkreisläufe und ein urbaner Loftcharakter zeigen, wie nachhaltiges Bauen heute funktioniert. 

Gelebte ökologische Verantwortung erfordert gebündelte bautechnische Exzellenz

Auf dem Gelände der ehemaligen Mühle in Grüsch ist ein Wohnbau entstanden, der die nachhaltige Bauweise neu definiert. Die Mühle Grüsch ist das erste Projekt in der Schweiz, das sowohl im Bau als auch im Rückbau nach den Kriterien des DGNB-Zertifikats entwickelt wurde. Zudem ist es das erste Projekt, das ein DGNB-Zertifikat für Rückbau erhielt. Hier sind 52 Mietwohnungen der GUTGRÜN AG entstanden, die einen klaren Anspruch verfolgen: ökologische Verantwortung und technische Exzellenz als gemeinsames Ziel.

Die Mühle Grüsch – von der Industriebrache zum Wohnquartier

Die über 2’000 Einwohner zählende Gemeinde Grüsch im Vorderen Prättigau wächst kontinuierlich. Die Lage ist ideal: Chur und Davos sind schnell erreichbar und Zürich ist nur etwas mehr als eine Stunde entfernt. Das alte Wahrzeichen des Dorfes, der 30 Meter hohe Mühlenturm aus dem Jahr 1939, war jahrzehntelang ein Symbol der Getreideverarbeitung. Nach der Stilllegung im Jahr 2010 stand das Areal leer und verfiel zur Industriebrache. «Ein Erhalt des Turms war aufgrund der Statik nicht möglich», erklärt Markus Wolf vom Architekturbüro Ritter Schumacher AG. An seiner Stelle entstand ein neues Wohnhochhaus.

Das Hauptgebäude der ehemaligen Mühle wurde hingegen erhalten und zu Lofts umgebaut. Die historischen Holzdecken beispielsweise blieben bestehen und wurden mit einer zusätzlichen dünnen Betonschicht brandsicher gemacht. Sogar die Graffiti aus der Zeit des Leerstands wurden teilweise ins neue Konzept integriert und verleihen den Lofts einen urbanen Charakter.

Ein Bauprojekt als Kooperation

Bauherrschaft, Planer und Ausführende sowie Baustoffproduzenten setzten von Anfang an auf ein Kooperationsmodell. Die Ritter Schumacher AG war als Architektin und Ingenieurin tätig, die METTLER PRADER AG fungierte als Bauunternehmerin und die GRIBAG AG, die den Materialkreislauf vom Abbruch zum Beton sicherstellte. Diese Zusammenarbeit schuf Vertrauen und ermöglichte schnelle, fundierte Entscheidungen. Jede Partei brachte ihr Wissen ein, um gemeinsam die beste Lösung für das Projekt zu finden.

«Echte Projektenergie entsteht, wenn die richtigen Menschen zur richtigen Zeit am Tisch sitzen», erklärt Albert Knaus, Bauherrenvertreter der GUTGRÜN AG. «Es waren auch keine Rabattschlacht oder Nachverhandlungen nötig.» Polier Marcel Egle sprach gar von der ersten «stressfreien Baustelle» seiner Karriere.

Beton als Kreislaufmaterial

Der alte Turm wurde vollständig rückgebaut, und der Beton wurde komplett wiederverwertet. Im neuen Hochhaus konnten rund 60 Prozent des Betonabbruchs verwertet werden, während der übrige Anteil ohne Qualitätsverlust Verwendung in anderen Projekten findet.

Der zurückgewonnene Beton wurde im 25 Kilometer entfernten Werk Untervaz der GRIBAG AG gebrochen, aufbereitet und dem neuen Beton als Zuschlagstoff beigefügt. Die Rezepturen, mit einem Recyclinganteil von 75-95 Prozent, reduziertem Zementanteil und CO₂-armen Zement, stellte die Beteiligten vor neue Herausforderungen. So «steifte» etwa der Beton bei Wärme und Windeinwirkung noch schneller an als herkömmliche Mischungen, was handwerkliche Präzision und ein konsequenter Fokus auf die Nachbehandlung verlangte. Das Resultat überzeugt umso mehr: ressourcenschonend, tragfähig und als erstes Projekt der Schweiz mit dem DGNB-Rückbauzertifikat ausgezeichnet.

Optimierte Tragstruktur

«Der Ingenieur hatte den Auftrag, jedes Bauteil auf Materialreduzierung zu prüfen und bezüglich Betonsorte so auszuwählen, dass keine Einbussen bei Sicherheit und Qualität entstehen», berichtet Markus Wolf. So entstand eine Tragstruktur, die mit weniger Material auskommt und mit CO₂-reduziertem Beton ausgeführt wurde – ein Beispiel dafür, wie technische Präzision und Nachhaltigkeit zusammenwirken können.

«Der hohe Kreislaufeffekt im Beton – mit Recyclinganteilen auf Spitzenniveau und der fast ausschliesslichen Verwendung von NPKA- und NPKB-Beton auf Basis von CO-reduziertem Zement der Holcim wurde erst durch die sehr frühe Abstimmung zwischen Ingenieuren und Betonproduzenten möglich. So konnten die Betonrezepturen präzise auf die Anforderungen der einzelnen Bauteile abgestimmt werden», erklärt Giancarlo Weingart von der GRIBAGAG. Normativ orientiert man sich dabei am neuen Norm-Anhang ND.

Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus

Nachhaltigkeit endet in Grüsch nicht beim Material. das Projekt wurde nach den Grundsätzen des DGNB-Systems entwickelt, das ökologische, ökonomische und soziale Aspekte über den gesamten Lebenszyklus hinweg bewertet – von der Planung über den Betrieb bis hin zum Rückbau. Dafür erhielt die Mühle Grüsch die Auszeichnung «Platin». Die Klimakrise ist ein globales Problem. Wir haben uns für das DGNB-Label entschieden, weil es nicht nur die energetische Seite beleuchtet, sondern Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet. Unser Ziel war es, ein Gebäude zu schaffen und zu zertifizieren, das international vergleichbar ist und den langfristigen Werterhalt sowie die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen widerspiegelt», erklärt Markus Wolf.

Ausgangspunkt war eine Lebenszyklus- und Lebenskostenanalyse. Sie verschaffte der Bauherrschaft eine solide Entscheidungsgrundlage, ebnete den Weg für echte Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft und trug dazu bei, dass die Wohnungen vier Monate früher bezogen werden als initial geplant.

Photovoltaik als Herzstück des Turms

Auch energetisch setzt das Projekt Massstäbe. Die Gebäude sind nach Minergie-P zertifiziert. Strom liefern eine integrierte Photovoltaik-Fassade sowie eine zusätzliche Dachanlage. Die Module sind dabei nicht nur funktional, sondern auch gestalterisch integriert: In unterschiedlich breiten, vertikalen Streifen ziehen sie sich bis zum Dachrand und verleihen dem Turm sein markantes Erscheinungsbild. Noch nie gab es für PV-Anlagen in dieser Höhe praktikable Brandschutzvorschriften. Gemeinsam mit der Gebäudeversicherung Graubünden sowie den Fachplanenden und Unternehmenden konnte eine Lösung entwickelt werden, die Sicherheit und Funktion vereint.

Eine zentrale Wärmepumpe versorgt zudem die Heizung und die Warmwasserversorgung, während eine kontrollierte Lüftung mit Wärmerückgewinnung für hohen Komfort bei minimalem Energiebedarf sorgt.

Ein Wohnbau mit sozialer und regionaler Verankerung

Die zentrale Lage am Bahnhof fördert die Nutzung des öffentlichen Verkehrs, während der Wohnungsmix für soziale Durchmischung und bezahlbaren Wohnraum sorgt. Die Zusammenarbeit mit regionalen Partnern stärkt die lokale Wertschöpfung – vom Entwurf bis zum Betonwerk.

Auch die Nachbarschaft wurde früh einbezogen. «So konnten wir transparent zeigen, was geplant ist, und Vertrauen aufbauen», so Albert Knaus. «Wir waren froh. Gegen das Projekt gab es keine einzige Einsprache.»

Nun ziehen die ersten Mieter ein

«Wir sind stolz, dass die Wohnungen vier Monate früher bezugsbereit waren als ursprünglich geplant», sagt Albert Knaus. Entlang der Gleise soll bald zudem noch ein Mohnfeld entstehen – als Symbol für Biodiversität und als «roter Gruss» an die vorbeifahrenden Züge der Rhätischen Bahn, deren Lokomotiven und Waggons dieselbe Farbe tragen.

Ein Modell für nachhaltiges Bauen

Die Architektur ist klar, ehrlich und ressourcenschonend. Sie verzichtet auf Verkleidungen und präsentiert sich als Bau aus wiederverwendetem Material. Die Photovoltaik-Fassade verbindet Gestaltung mit Energieproduktion. Durch Kooperation, die frühe Einbindung aller Disziplinen und den Mut zu neuen Lösungen werden Stabilität, Werterhalt und Sinn geschaffen. «Nachhaltigkeit rechnet sich», sagt Albert Knaus. «Nicht sofort, aber langfristig – ökologisch, sozial und ökonomisch.» Die Mühle Grüsch steht für eine Baukultur, die weiterdenkt. Sie zeigt, was möglich ist, wenn Verantwortung das Ziel ist – und Beton zum Kreislaufmaterial wird.

Mehr Informationen zum Projekt Mühle Grüsch

Ihre Kontaktperson

Patrick Suppiger

Patrick Suppiger

Geschäftsführer

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